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Wissenschaftler streiten darüber, ob Grundeinkommen zu mehr oder weniger Spaltung in der Gesellschaft führt Irrweg oder Königsweg?

Hannover. 1000 Euro im Monat als bedingungsloses Grundeinkommen für jedermann – eine Idee, die Götz Werner, Gründer der Drogerie DM, populär gemacht hat. Inzwischen sprechen sich immer mehr Industrievertreter für ein Grundeinkommen aus, kürzlich Siemens-Chef Joe Kaeser.
05.12.2016, 00:00 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Von Joachim Göres

Hannover. 1000 Euro im Monat als bedingungsloses Grundeinkommen für jedermann – eine Idee, die Götz Werner, Gründer der Drogerie DM, populär gemacht hat. Inzwischen sprechen sich immer mehr Industrievertreter für ein Grundeinkommen aus, kürzlich Siemens-Chef Joe Kaeser. Damit sollten Menschen, die durch die fortschreitende Digitalisierung ihre Arbeit verlieren, ein vernünftiges Leben führen können. Doch welche Summe ist angemessen, welche Auswirkungen könnte die Einführung haben – darüber stritten Wissenschaftler auf einer Veranstaltung der Volkswagenstiftung in Hannover.

„Die Diskussion bewegt sich in Deutschland zwischen dem Hartz IV-Satz und 1400 Euro monatlich, wie die Linke es vorschlägt“, sagt Michael Opielka, Geschäftsführer des Instituts für Sozialökologie aus Siegburg. Nach seiner Überzeugung hat das Grundeinkommen zahlreiche positive Effekte. Umbrüche in der Arbeitswelt würden so risikoärmer und es werde etwas gegen die Spaltung der Gesellschaft getan. Gerade ältere Menschen mit einer niedrigen Rente würden davon profitieren. Sie bekämen so letztlich eine Grundrente unabhängig von ihrem einstigen Verdienst, wie das heute schon zum Beispiel in der Schweiz üblich ist.

„Wer viel einzahlt, soll viel rausbekommen – das ist eine in Deutschland weitverbreitete Gerechtigkeitsvorstellung. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ist deshalb für viele Menschen gewöhnungsbedürftig“, sagt der Soziologe Stephan Lessenich von der Universität München. Opielka und Lessenich sind Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Netzwerks Grundeinkommen. Das fordert für jeden Bewohner ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 60 Prozent des Durchschnittseinkommens. Mehr als 18 000 Menschen haben bisher mit ihrer Unterschrift diese Forderung unterstützt. Nach Schätzungen würde ein aus Steuern finanziertes Grundeinkommen in Deutschland Ausgaben von einer Billion Euro im Jahr erfordern, gleichzeitig könnte der Staat 850 Milliarden Euro an Sozialausgaben einsparen.

Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), kritisiert, dass die Befürworter eines Grundeinkommens meist keine konkreten Zahlen und Bedingungen nennen. So sei nicht auszuschließen, dass bei der gleichzeitigen Streichung von Leistungen wie zum Beispiel Wohngeld viele Menschen letztlich schlechter gestellt sein könnten. „Es gibt die Vorstellung ‚Gebt den Leuten Geld, dann sind sie zufrieden‘. Aber das stimmt nicht. Sie wollen arbeiten und an der Gesellschaft teilhaben“, sagt Allmendinger und fügt hinzu: „Nach unseren Studien fühlen sich immer mehr Menschen unwohl in einem Land, das immer ungleicher wird. Das wird man nicht über ein Grundeinkommen verändern, sondern nur mit einer Reduzierung der Ungleichheit.“ Sie plädiert dafür, lieber in die Weiterbildung von Menschen zu investieren und verweist auf eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Danach gehen bis 2025 in Deutschland durch die Digitalisierung 1,5 Millionen Arbeitsplätze verloren, genauso viele neue Stellen mit höheren Anforderungen würden gleichzeitig entstehen.

Lessenich verlangt einen Rechtsanspruch auf ein bedingungsloses Grundeinkommen, das deutlich über dem Existenzminimum liegen und von einer radikalen Arbeitszeitverkürzung sowie der Demokratisierung der Wirtschaft begleitet werden müsse. „Das ist eine revolutionäre Idee, die einen Leitfaden für reformistische Schritte bietet. Was Unternehmer fordern, ist kein Grundeinkommen“, sagt er. Allmendinger befürchtet dagegen einen wachsenden Niedriglohnsektor, falls zum Beispiel Migranten keinen Anspruch auf das Grundeinkommen haben.

Die Schweizer haben im Juni das bedingungslose Grundeinkommen in einer Volksabstimmung mit 77 Prozent abgelehnt. Damals hatten die Initiatoren der Abstimmung eine Summe von umgerechnet rund 2250 Euro im Monat empfohlen. Alle Parteien in der Schweiz hatten sich klar gegen die Einführung ausgesprochen. In Finnland erhalten im kommenden Jahr 2000 zufällig ausgewählte Menschen, die bislang von Sozialhilfe lebten, monatlich 560 Euro als Grundeinkommen. Diese Summe entspricht dem Arbeitslosengeld. In Deutschland hat sich Ende September die Partei „Bündnis Grundeinkommen“ gegründet, die 2017 zur Bundestagswahl in allen Bundesländern mit Landeslisten antreten will.

Eine Zusammenfassung der Veranstaltung der Volkswagenstiftung sendet NDR-Info diesen Montag ab 20.30 Uhr.

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